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Anne Albers

Wirrwarr

Aktualisiert: 13. Jan. 2021

Eine Geschichte über Gabi, zwei Schildkrötenhälse und das eine Glas Merlot.



Das Wirrwarr ist ein sauberer Ort. Dort hat Gabi einen rosa Lappen für die Zapfhähne und einen gelben für die Edelstahltheke, auf der sie Gläser poliert. Mit dem blauen Lappen wischt sie den Tresen, an dem die Stammjungs Holger und Bertram sitzen. Die beiden sind schon da, als ich reinkomme, drehen ihre Schildkrötenhälse kurz zur Tür und nicken mir stumm zu. Dann knarzt Gabi den Korken aus der Weinflasche und stellt ein Glas Merlot auf meinen Tisch, wo ich die Abendstunden über meinen Gedanken vertrödle.

Zwischendurch, nicht nur bei Gastwechsel, macht Gabi die Eichentische mit dem grünen Lappen sauber. Sie fragt „Darf ich kurz blank machen?“ und wischt die Glasränder auf den Platten weg – erst feucht und dann mit einem trockenen Lappen hinterher. Wie sie dabei ihren Busen tief über meinen Tisch beugt und mit kräftigen Bewegungen, hörbar ausatmend, die Platte poliert, das verströmt eine Mütterlichkeit, an die ich mich anlehnen möchte. Aber Gabi will, das spüre ich, nicht nur den Rotweinrand vor mir wegwischen, sie will auch mich wegputzen. Denn ich trinke nur das eine Glas Merlot und bleibe, bis Gabi ihr Wirrwarr abschließt. Dann wirbelt sie den Schlüsselring um ihren Zeigefinger, als wäre er der Abzug eines Revolvers und starrt dabei auf die Kneipentür. Raus mit dir, sagt das wortlos.

Ich gehe in den noch dunklen Morgen. Bleibe stehen, lege meinen Blick auf Gabis Rücken, während sie erst das kleine Schloss oben mit einem „Krick“ absperrt, dann die Tür mit ihrer Stiefelspitze randrückt und das Sicherheitsschloss mit einem „Schrrschrr“ verschließt. Dann dreht sie sich um und verschwindet grußlos um die Ecke. Gabis Duft ist noch bei mir: Blumig, auch irgendwie herb, und mit einer Nuance Zitrone von dem Raumspray, das sie versprüht, wenn die Männer vom vielen Schnaps ausdünsten.

Ich schaue ihr nach, sehe, wie sie die Hindenburgstraße hinunter geht, und halte meine Gedanken an ihrer Lappen-Ordnung fest: rosa – grün – gelb – blau ...

Ich bin Gabi noch nie nachgegangen, obwohl ich weiß, wo sie wohnt. Heute will ich ihr folgen, nur die paar Meter bis zu ihrer braunen Haustür. Ich gehe los und teile mir meinen Weg durch den Großstadt-Wirrwarr in Pflastersteine ein, bis ich da bin.

Zehn Klingeln gibt es, aber auf keiner steht ihr Name. „Gabi“ schreibt man ja auch nicht auf eine Klingel.

Vielleicht „Gabi ... Wiedenest“? Nein, das passt nicht.

„Gabi ... Zippel“? Hoffentlich nicht.

„Gabi ...Britsch .... Britschkowski“. Ja, das hört sich nach Gabi an!

Gabi Britschkowski, zweiter Stock.

Ich klingle. Und es surrt sofort. Ich steige die Treppe hinauf, nah am Geländer, wo die Stufen noch Lack haben.

Die Wohnungstür steht offen, Gabi mitten im schummrigen Flur, noch im Mantel. Ich warte vor der Schwelle. Aber sie kommt mir nicht entgegen, sondern sieht mich nur kurz an und schließt dann ihre Lider wie schwere Rollos.

„Was willst du hier?“, fragt sie und dreht am Dimmer das Flurlicht grell. Ich kneife die Augen zusammen und ordne meine Gedanken: rosa ... grün ... gelb ... und blau.

„Wieso heißt deine Kneipe eigentlich Wirrwarr?“, frage ich.

Gabi atmet hörbar aus. Dann tritt sie an die Türschwelle heran und hebt die Lider weit über ihre blass-grünen Augen.

„Weil das ein schöner Name für das ganze Durcheinander ist“, antwortet sie, und will mich jetzt nicht wegputzen, das fühle ich.

„Und mein Wirrwarr ist ein ordentlicher Ort fürs Durcheinander“, sagt sie.

„Ja, ein ordentlicher Ort“, schwärme ich, „schön ordentlich ... und sauber in rosa, grün, gelb und blau.“

Da legt sie ihren Kopf schief und guckt mich an, als prüfe sie mich. Dann nickt sie zufrieden, schließt ihre nachtschweren Lider und danach ihre Tür.

Ich stehe da und kipple meine Hacken auf der Kante ihrer Fußmatte hoch und runter. Ob sie noch hinter der Tür im Flur steht? Ob sie lauscht? Ich lausche. Ich höre nichts. Keine Diele, die mich von innen anknarzt, keine Schritte im Flur. Wahrscheinlich ist sie schon im Bad. Wäscht sich die Wirrwarr-Luft aus den Poren, streift die Jeans von ihren Beinen, zieht ihre Bluse über den Kopf, öffnet ihren BH-Verschluss und lässt ihn an einem Träger baumelnd auf den Boden fallen. Natürlich tut sie die Klamotten vor dem Zubettgehen noch in den Wäschekorb. Sie ist nicht der Typ, der die Klamotten auf den Boden liegen lässt. Auch wenn ihr danach wäre, vor Müdigkeit oder vor Lust.


Ich mag mir vorstellen, wie sie nun aussieht, nur in Unterhose. Ich mag ihren nackten Rücken sehen, wenn sie den Flur hinunter geht in ihr Schlafzimmer. Ich mag ... Sag mal! So einer bist du nicht! So ein Stalker-Ekel, der sich erregt vor der Tür einer Frau, die ihn vielleicht niemals reinbitten wird.

Du gehst jetzt! Aber ich kann nicht den gleichen Weg runter gehen, den ich rauf gekommen bin. Ich nehme die Mitte der Stufen, dort, wo das Holz grau ist und sich schon feine Splitter lösen.

Was ist passiert? Warum hat sie den Kopf schief gelegt? Und genickt? Was denkt sie über mich?

Ich gehe die letzte Stufe runter zur Haustür. Jetzt kommen die geblümten Fliesen, bestimmt Jahrhundertwende, original. Die Tür quietscht, scheppert dann hinter mir in die Zarge, wie es nur Altbautüren tun.

Jetzt nach Hause, was sonst. Ich könnte mich auch hier vor die Haustür setzen. Dramatisch ausharren. Aber Gabi steht auf so etwas nicht, glaube ich. Also, doch nach Hause. Und heute Abend ein Glas Merlot im Wirrwarr. Wie üblich. Denn sie mag es nicht, wenn jemand ihre Ordnung durcheinander bringt.

Bertram sitzt heute allein am Tresen. Ich habe ihn noch nie ohne Holger im Wirrwarr gesehen. Bertram schaut nicht auf, als ich an ihm vorbeigehe. Er nickt mir auch nicht zu wie sonst. Mir ist danach, ihm die Hand auf die Schulter zu legen. Aber das wäre irgendwie gegen die Regel. Ich zügle meine rechte Hand in meine Hosentasche. Ich gehe jetzt schneller zu meinem Tisch und nuschele „Gut’n Abend“. Ich wage es nicht, hinter den Tresen zu gucken. Gabi?

Vielleicht habe ich es versaut. Gestern. Mann, ich werde hier nicht mehr sitzen können wie früher. Mit meinem Glas Merlot, einfach Einkehr, ohne Wollen. Ohne Grübeln. Ohne dieses lächerliche Sehnen nach ihrer Türschwelle.

Wo ist mein Glas Merlot? Mein Tisch ist leer. Ich lausche. Kein Knarzen. Gabi? Ich setze mich, noch in der Jacke, auf meinen Stuhl, der immer den freien Blick zum Tresen hat. Aber ich gucke jetzt nicht dahin, ich reibe meine Hände, falte sie, schiebe sie flach unter meine Oberschenkel und schaue dann auf Bertrams Rundrücken.

Da geht die Tür vom Wirrwarr auf. Holger? Aber Bertram dreht seinen Hals nicht zur Tür, er erwartet Holger nicht.


Ich sehe Gabis Mantel, dann ihr Gesicht. Ihre Wangen sind rot vor Anstrengung, sie ist gehetzt. In ihrer linken Hand baumelt ein gestreifter Stoffbeutel. Sie bleibt kurz stehen, holt Luft, macht dann einen langen Schritt auf Bertram zu. Ihre Lippen bewegen sich, aber sie sagt nichts, glaube ich. Oder ich kann es hier hinten nicht hören. Sie geht um Bertram herum und lässt dabei ihre rechte Hand über seinen Rücken gleiten. Wie sich wohl ihre Finger auf dem fusseligen Stoff anfühlen? Ich glaube, den Pullover trägt er immer. Dann ist Gabi hinter der Theke, legt den Stoffbeutel darauf ab, langt nach dem Schnaps, den Bertram gerne hat, und lässt einen Klaren in sein Glas laufen.

Bertram faltet seinen Schildkrötenhals nach hinten auf, kippt den starren Nacken so weit nach hinten, wie es noch geht. Dann ist der Klare mit einem Schluck in seinem Hals. Danach macht Bertram sich wieder rund über dem Tresen.

Gabi sieht ihn noch an. Jetzt schaut sie an sich runter. Schüttelt kurz den Kopf. Stimmt, sie hat den Mantel noch an, das macht sie sonst nie! Sie geht schnell zur Tür, hängt den Mantel an ihren Haken. Dann geht sie wieder hinter den Tresen, greift mit einer Hand nach dem Stoffbeutel und verschwindet damit durch den rosa Lamellenvorhang in die Küche. Die Lamellen schwingen ihr hinterher.

Mein Herz knarzt. Wegen Bertram. Und weil Gabi mich nicht angesehen hat. Und was ist mit meinem Merlot? – Das ist die Strafe für gestern! Hier wirst du nicht mehr bedient, du Stalker!

Holz schrammt laut über Holz. Das kommt von vorne, von Bertram. Der drückt sich mit den Händen vom Tresen ab und schiebt sich auf seinem Barhocker nach hinten. Zwischen dem Tresen und seinem Hocker ist nun genug Luft für seine Plauze. Er steigt ab, als hätte er einen langen Ritt hinter sich. Zieht seine Hose hinten am Gürtel hoch. Wie eine Schildkröte sieht Bertram nun nicht mehr aus. Eher wie eine Masse Mann. Bertram dreht sich um, zu mir. Er macht sich gerader. Der hat ja breite Schultern! Er kommt einen Schritt auf mich zu, dann noch einen. Er schwankt gar nicht. Ich dachte immer, der kann nur noch schwanken. Er bleibt vor meinem Tisch stehen, guckt mich an. Aus klaren, blauen Augen. Noch keine 1 Promille. Von seinem Nasenrücken ästeln sich blaue und rote Äderchen auf seine Wangen herab.

Er rückt den Stuhl mir gegenüber ab, setzt sich an meinen Tisch und legt seine Hände auf die blanke Platte. Seine Fingernägel sind zu lang. Er zieht sie ein in die Faust.

Was soll ich machen? Bertram und ich an meinem Tisch. Das passt nicht. Die Spannung verhärtet sich in meinem Nacken. Wo soll ich hingucken? Ich will ihm nicht ins Gesicht sehen. Und der Blick zum Tresen, zu Gabi ist nicht mehr frei! Ich rücke mit meinem Stuhl ein Stück nach links, jetzt kann ich wieder den Lamellenvorhang sehen ... Bertram dreht seinen Kopf und folgt meinem Blick.

In seiner Kehle gurgelt es. Dann brummt er: „Heut ist alles anders, ne? Holger ist nicht mehr. Und dein Glas Merlot? Gibt’s das auch nicht mehr?“


Da rascheln die Lamellen. Ich lehne mich links an Bertrams Schulter vorbei. Gabi. Mit einer Flasche Wein in der Hand. Bitte, lass es meinen Merlot sein! Ich lausche. Und da: Das Knarzen! Dann klirrt sie ein Glas auf den Tresen und der Wein gluckst hinein.

Hitze steigt von meinem Nacken den Hals hoch und staut sich unten an meinen Wangen. Bei dem Gedanken, dass sie gleich hier sein wird.

Gabi biegt um die Tresen-Ecke, in der linken Hand mein Glas Merlot, dunkelrot im schummrigen Licht des Wirrwarrs. Sie stellt es vor mir ab, sieht mich nicht an. „Darf ich kurz blank machen?“, fragt sie. Ihre Stimme hört sich heller an als sonst, bilde ich mir ein. Dann legt sie einen roten – roten? – ja, einen roten Lappen auf den Tisch, beugt sich tief darüber und wischt.

Ich fühle die Hitze nun in meinen Ohren. Ein roter Lappen? Den hat es noch nie gegeben! Ich starre auf den Lappen, ihm auch noch hinterher, als Gabi ihn bereits in ihrer Hand, mittig gefaltet, zurück zum Tresen bringt.

Meine Finger trippeln auf den Tisch, halten sich dann am Weinglas fest. Ich nehme einen Schluck. Fruchtig, voll, trocken. Wie immer. Und leere das Glas im nächsten Zug.

Bertram schaut mich an.

„Heidewitzka! Dafür brauchst du doch sonst den ganzen Abend“, brummt er.

„Ja, ja, ich weiß!“

„Das ist wegen den roten Lappen, oder?“

Ich nicke und klemme mir die Unterlippe hinter die Schneidezähne.

„Heute ist es anders hier.“

„Ja, Bertram. Genau.“ Ich seufze und stütze mein Kinn in die linke Hand. Bin müde.

Ich möchte nicht reden. Ich möchte allein sein mit meinem Gedanken. Ich denke: Gabi hat ihre Lappenordnung geändert! Sie ist jetzt nicht mehr rosa – grün – gelb – blau. Sondern da ist nun noch ein roter Lappen. Für meinen Tisch.

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