Im Travestietheater ihres Vaters zogen sie Make-up und Perücken schon als kleines Mädchen an. Zugleich sah sie auch Leid hinter den Masken. Heute hilft Serena Goldenbaum Stars mit ihrer Kunst, ihre Schönheit zum Leuchten zu bringen.

Wenn der Himmel grau ist, wie an diesem nassgenieselten Frühlingstag in Hamburg, dann hilft Serena Goldenbaum Farbe. Ihr pinkfarbenes Kleid strahlt mir entgegen, als sie mich ins weiß getünchte Wohnzimmer der Backsteinvilla führt. Hier lassen große Fenster trotz verhangener Sonne viel Licht herein. Weiße, tiefe Sofas verbreiten ein gemütliches Flair, auf dem Beistelltisch liegen großformatige Fotobände. Goldenbaum lässt die Kaffeemaschine surren, bevor wir am weißen Tisch mit Blick in den Garten Platz nehmen. »Diesen Raum nutzen wir auch als Kulisse für Fotoshootings«, sagt sie. Denn Goldenbaum ist eine international gefragte Star-Stylistin. Sie frisiert, stylt und schminkt Promis für Werbeshootings, Fashionshows und Tourneen, für Fernsehen, Film und Musikvideos. Mit Helene Fischer war sie auf Tour, Sylvie Meis und Heike Makatsch gehören zu ihren Kundinnen, zudem Models wie Claudia Schiffer, Heidi Klum, Eva Padberg und Giselle Bündchen. Ihre prominenten Auftraggeberinnen haben auch sie bekannt gemacht. Mit 59 Jahren ist sie gut im Geschäft und viel auf Reisen. Gerade ist sie von der Oscar-Verleihung zurück, trotzdem strahlt ihr Gesicht Urlaubsfrische statt Jetlag aus. Ihr Geheimnis liegt wohl im gekonnten Make-up. Dieses Handwerk beherrscht sie seit 30 Jahren.
Fasziniert von Pailletten und Glitzer
Ihre Faszination dafür begann als junges Mädchen in dem Kult-Travestietheater ihres Vaters. Im »Pulverfass« im Hamburger Stadtteil St. Georg und später an der Reeperbahn blätterte Serena tagsüber in den Set-Cards der Künstler, die sich bei ihrem Vater Heinz-Diego Leers bewarben. Anfang der 70er-Jahre eröffnete er das Pulverfass und machte auf seiner Bühne Travestiekunst salonfähig und Dragqueens bekannt. Dort beobachtete Serena wie Perücken, Schminke und Kleider die Männer verwandelten und sie strahlen ließen. Frauen auf diese Weise zum Strahlen zu verhelfen, das wollte sie lernen! Denn das gängige, deutsche Frauenbild aus den 60er-Jahren – »zurückhaltend, bescheiden und bloß nicht zu dick auftragen« – wirkte bei den Frauen nach, die sie umgaben, erzählt sie. Aber zwischen Pailletten und Glitzer entdeckte sie im Pulverfass auch Brüche: »Ich sah die unglücklichen Lebensgeschichten, die Leidenswege der Männer.« Zudem prägte der Bruch ihres Vaters mit der bürgerlichen Familienwelt ihre Kindheit und Jugend. Die Ehe der Eltern zerbrach, als die Homosexualität ihres Vaters offenbar wurde. Da war Serena gerade ein Jahr alt. »In den 60er-Jahren heiratete man als homosexueller Mann und bekam Kinder«, resümiert sie. Aber dann begannen die Siebziger und viele konnten ausdrücken, was sie innerlich empfanden. »Als mein Vater das Pulverfass eröffnete, haben das viele Leute nicht verstanden. Über die Jahre ist er dennoch zu einer lokalen Berühmtheit geworden. Ich habe ihn für seinen Mut immer bewundert. Aber an Familie und Kind war er nicht sehr interessiert. Ich hätte gerne mehr von ihm gehabt.«
Auf eigene Faust die Welt sehen
Als Teenager träumte Serena Goldenbaum davon Tänzerin zu werden, aber dafür sei sie »zu kurvig«, attestierte ihre damalige Ballettlehrerin. Dennoch gab es für sie nur den Weg nach vorne: Mit 15 machte sie eine Friseurlehre in Hamburg und gewann bald Auszeichnungen im Jugend-Preisfrisieren. »Im Friseursalon war ich diejenige, die auch die schwierigen Kundinnen bediente. Ich wollte erspüren, wo ihr ‚Knackpunkt‘ liegt«.
Damals hätte ihr Vater sie gerne in einem eigenen Salon in Hamburg gesehen, »am besten mit unserem Namen oben drüber«, sagt sie schmunzelnd. »Aber das fand ich zu langweilig. Ich wollte die Welt und andere Kulturen sehen.« Deshalb ging sie mit 22 nach London, um eine Ausbildung zur Make-up Artistin zu machen und dabei Englisch zu lernen. Rückenwind bekam sie von ihrer Mutter und ihrer Tante, deren Familie künstlerisch sehr begabt war: »Mach, was du denkst und willst, wenn du es finanziell tragen kannst«, sagte ihre Mutter. Denn die Ausbildung war teuer. »Aber ich hatte ja gespart.«
Sich im Ausland beweisen
Als fertige Make-up Artistin kam sie zurück nach Hamburg, wo sie über ihren Chef im Friseursalon erste Aufträge für Modeshootings bekam. Ihr Ziel waren jedoch internationale Jobs für bekannte Labels. Sie bewarb sich bei Agenturen, »aber die sagten mir: ‚Du musst dich erstmal im Ausland beweisen‘.« Deshalb zog sie dorthin, wo sich die damalige Modeszene tummelte. Gemeinsam mit ihrem Freund, einem Fotografen, ging sie nach Madrid. Sie wohnten in einem »abgeranzten Haus« mit jungen Leuten, die alle Karriere in der Modeszene machen wollten. »Wir lebten von der Hand in den Mund und wussten teilweise nicht, wovon wir das nächste Essen bezahlen sollten. Wir ernährten uns von den Büfetts auf den Partys, zu denen uns die Models mitnahmen. Als Gegenleistung gab es Make-Ups und Fotos.« In Madrid ergaben sich zwar erste Kontakte, aber der Durchbruch ließ auf sich warten.
Keine Angst vor Prominenten
Ihre nächste Station: Miami. Da war sie Mitte 20. Dort zahlte es sich aus, dass sie inzwischen als Dreiergespann unterwegs waren: Serena, die Make-Up Artistin, ihr Freund, der Fotograf, und ihre Freundin, das Model. Das fanden die Agenturen praktisch und verschaffte ihnen den Einstieg in die Branche – sie arbeiteten mit Amerikanern, Engländern und Japanern zusammen. Ihr Erfolg blätterte sich weiter auf. »Dann sagte ein Kunde: Wir machen eine Fotoproduktion mit Claudia Schiffer. Ist das okay?«. Dass Goldenbaum »keine Angst vor Prominenten« hat und mit ihnen gut umgehen kann, sprach sich bald herum. »Wenn ich es mit starken Persönlichkeiten zu tun habe, kann ich mich komplett zurücknehmen und nur darauf schauen, was diese brauchen.«
Blitzhochzeit mit Baby
Inzwischen war sie 27 und musste eine Entscheidung treffen. »Ich wusste früh, dass mir Kinder wichtig sind, aber mein Freund wollte keine. Ich spürte, dass diese Frage mein ganzes weiteres Leben betrifft. Deshalb trennte ich mich von ihm, was sehr schwer war.« Danach begann eine »kurze, wilde Phase«, wie sie es nennt. Sie wurde schwanger von einem südafrikanischen Musiker, verliebte sich dann in ihren damaligen besten Freund Michael, der als Modefotograf arbeitete. Als sie ihm ihre Schwangerschaft offenbarte, sagte er: »Ich bin der Meinung, ich habe die Frau meines Lebens kennengelernt.« Innerhalb von wenigen Monaten zogen sie zusammen und heirateten. Dann war ihr Sohn Noél da.
Ab da reisten sie mit Baby rund um die Welt zu ihren Jobs. »Viele sagten uns: ‚Ihr werdet mit Baby nicht mehr kreativ sein können‘. Aber ich wollte beweisen, dass es geht! Mein Job bedeutet ja, dass ich früh und auch bis spät in die Nacht auf den Beinen bin. Trotzdem muss ich am Morgen wieder parat sein für den nächsten Auftrag. Da braucht man Beharrlichkeit.«
Seit 29 Jahren sind Serena und Michael inzwischen verheiratet. Solch eine Langzeitbeziehung ist eine Seltenheit – nicht nur in ihrer Szene. »Ich liebe es, dass wir uns so gut kennen und zusammenhalten. Wir sind beide als Kinder alleinerziehender Mütter aufgewachsen. Deshalb haben wir uns immer wieder entschieden: Wir machen das gemeinsam und unterstützen uns gegenseitig.« Ihr Zuhause haben sie seit über 20 Jahren in Hamburg – in der Bergedorfer Stadtvilla, die früher der Großmutter von Michael gehörte. »Wir haben sie umgebaut, als wir ein festes Zuhause brauchten, weil unser Sohn eingeschult wurde. Im oberen Stockwerk wohnt Michaels Mutter. Sie ist dement und wir pflegen sie.«
Die Kunst des »Glow«
Serena Goldenbaum liebt das normale Leben und den »Glow«. Er ist das, was die Kundinnen an ihrer Kunst besonders schätzen. »Ich verstehe mich nicht als Maskenbildnerin. Ich will keine Maske aufschminken, sondern Frauen innerlich und äußerlich strahlen lassen, ihr Selbstbewusstsein stärken.« Deshalb ist sie seit 2006 als Beautycoach unterwegs. Es gehe ihr nicht allein um äußere Schönheit, sondern um Persönlichkeitsentwicklung. »Wir alle kämpfen mit negativen Zuschreibungen durch unsere Eltern oder andere Menschen. Gut über mich selbst zu denken und liebevoll mit mir zu reden, ist entscheidend für mein Wohlgefühl. Als ich 2008 mein Buch ‚Beauty for you‘ veröffentlichte, merkte ich, dass ich das, was ich für andere Frauen schrieb, auch selbst noch mehr verinnerlichen muss.«
2016 eröffnete Goldenbaum ihre eigene »Make-up und Style Bar« im Hamburger Stadtteil Winterhude. Dort kreierte sie zusammen mit ihren Mitarbeiterinnen Stylings, gab Workshops, bildete zum Glow Visagist, Make-up Artist und Hairstylist aus. Aber dann kam die Pandemie, sie musste den Laden schließen und führte ihre Beratungen online fort: »Wir haben auch Videos mit Make-up-Tipps und -Tutorials gemacht. Da meine jungen Mitarbeiterinnen sich aber nicht ungeschminkt filmen lassen wollten, musste eben ich ran. Ich zeige mich gerne ungeschminkt.«
An der Liebe festhalten
Letztes Jahr starb ihr Vater. Neben der Trauer brachen auch »Gier und Bösartigkeit« über sie herein, erzählt sie. Es habe sehr viel Streit um sein Erbe gegeben. Aus dem Pulverfass sei sogar der Schmuck ihres Vaters gestohlen worden. »Das war eine Zeit, die mich und meinen Mann stark geprüft hat. Da war es für mich wichtig, alles an Gott abzugeben, indem ich mit ihm in eine innere Zwiesprache trat. Ich wollte mich nicht hineinziehen lassen, sondern mich an der Liebe festhalten.«
2023 stylte sie zum ersten Mal von Brustkrebs Betroffene bei der »Pink Style Tour« – einer Charity-Aktion in Deutschland und der Schweiz. Goldenbaum machte Frauen zurecht, die Haare, Augenbrauen und Brüste verloren hatten und erlebte, wie es sie aufbaute, sich in diesem Moment wohl in ihrem Körper zu fühlen. »Es verändert die Sichtweise, wenn du ein paar Stunden jemanden an deiner Seite hast, der dir erzählt, was du Tolles an dir hast. Frauen konzentrieren sich häufig auf die Dinge, die sie nicht schön finden. Da kann ich mit einem Make-up einen anderen Fokus setzen und quasi den Beweis antreten, dass sie schön sind. Es geht immer darum, ihnen ihre Selbstzweifel zu nehmen. Das ist bei Prominenten übrigens nicht anders.«
Sanfte Pinselstriche
Goldenbaum schaltet das Licht am Spiegel ihrer hauseigenen Style Bar ein. Weiße Hochglanzmöbel und aufgeräumte Flächen bilden die Kulisse. Nur ein paar Pinsel stehen in Reih und Glied bereit. Dort setze ich mich auf den Regiestuhl. An meiner Seite strahlt Serena Goldenbaum Wärme aus, sie ist eine großgewachsene Frau. Aus den Schubladen holt sie diverse Kosmetikartikel, deren Namen ich mir nicht merken kann. Doch, der »Concealer«,ein Zauberstift bei müden Augen. Ihre kräftigen Hände lassen die Pinsel ruhig und präzise über mein Gesicht streichen. Dabei nimmt sie sich Zeit fürs Anschauen, streut ermutigende Worte ein. Ich fühle mich wohl, gesehen und auch optisch erfrischt, als ich mich von ihr verabschiede.
Erschienen 2024 in: gomagazin.de, Ausgabe 30
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