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Anne Albers

In nicht mal zehn Jahren

Trommel auf, Mutti will raus:


Wenn ihr in die Nacht eintaucht, streiche ich Sofakissen glatt.

Wenn ihr die großen Fragen bewegt, kümmert mich Kleines.

Wenn ihr wach werdet über eurem Kaffee, treibe ich mich an.

Wenn ihr euch neu einkleidet, hole ich Feuchttücher.

Wenn ihr frühstücken geht, mache ich Mittag.


Wenn ihr eure Freizeit füllt, klaube ich die Reste zusammen.

Wenn ihr Barcelona und Rom bereist, fege ich die Terrasse.

Wenn ihr von eurem Urlaub schwärmt, bade ich in meiner Sehnsucht.

Wenn ihr ein Thema wälzt, will ich aufspringen zum nächsten.

Wenn ihr Flüchtlinge umsorgt, wäre ich gerne einer von ihnen.


Wenn ihr sagt, was wichtig ist, nicke ich meiner Leere zu.

Wenn ihr mehr aus euch machen wollt, bewältige ich das Heute.

Wenn ihr das Weltgeschehen verfolgt, habe ich die Tagesschau verpasst.

Wenn ihr euch global bedroht fühlt, fürchte ich mich vor mir.

Wenn ihr eure Lieblingsserie guckt, lebe ich meine Soap.


Wenn ihr nach dem Sinn sucht, bin ich längst angekommen.

Wenn euch dies und das ärgert, stelle ich mich nicht an.

Wenn ihr in Bioläden geht, mache ich Großeinkauf im Internet.

Wenn ihr euch selbst bewusst seid, spiele ich keine Rolle.

Wenn ihr heute mal in den Tag hineinlebt, erkaufe ich mir Freiheit.


Wenn ihr eure Liebe pflegt, schaffen wir das schon.

Wenn ihr die Stadt durchstreift, optimiere ich Wege.

Wenn euch Kunst inspiriert, mache ich Obstteller hübsch.

Wenn ihr zum Sport geht, bettet mein Schweinehund mich zur guten Nacht.

Wenn ihr noch einen Ratgeber lest, lasse ich mich von euch adoptieren.


Wenn ihr wüsstet, was uns alles trennt.


Aber in nicht mal zehn Jahren


Kleide ich mich neu ein

Werde mir selbst bewusst

Gehe frühstücken

Lebe in den Tag hinein

Von Timbuktu bis Tadschikistan


In nicht mal zehn Jahren


Finde ich Bioläden, die ihr nicht kennt

Verfolge das Weltgeschehen

Schlage mir Nächte und Themen um die Ohren

Lasse mir Obstteller reichen

Und die Hornhaut abnagen

Für den weichen Antillen-Sand


In nicht mal zehn Jahren


Stelle ich mir Fragen

Lasse Flüchtlinge bei mir wohnen

Und den Fernseher morgens laufen

Fürchte nur noch die anderen

Oder dass mir die Ideen ausgehen

Und habe stets eine Packung Feuchttücher für mich allein dabei


In nicht mal zehn Jahren

Bin ich wieder eine von euch.


Bild: wronge57 / photocase.de


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