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  • Anne Albers

Da war was verschwunden

Aktualisiert: 2. Dez. 2020

Kata hatte zu große Brüste. Eigentlich war sie klein und drahtig, aber wegen ihrer riesigen Brüste sah sie pummelig aus. Sie versteckte ihren Busen unter einem grauen Sportsweatshirt, so eines mit engem Bündchen am Hals und der Aufschrift „Lonsdale“.



Ab Brusthöhe stand das Sweatshirt ab und verengte sich erst wieder mit dem Bündchen über dem Gürtel. Unförmig wirkte sie obenrum und ihr schlanker Hals brachte nur mühevoll ihre schönen, dichten Haare zur Geltung.

Erst auf den zweiten Blick fielen mir ihre Augen auf. Sie erinnerten mich an den Karpfen, den der Lieblingsfischhändler meiner Mutter manchmal auf seiner Edelstahltheke anrichtete und der mich auf meinem Weg zur Schule durch das Schaufenster anglubschte. Katas große Augen traten zu weit hervor und blickten mich unangenehm direkt an. Aber ihr freundliches Grinsen und ihr warmes Lachen machten das wieder wett.

Ich lernte sie kennen, als ich mit Steffi und Julia nach draußen zum Rauchen ging. Steffi war mal wieder allein zuhause und wir hatten eine Party organisiert, die geschmeidig anlief. Wir setzten uns auf die Veranda des blau-weiß gestrichenen Schwedenhauses, das sich Steffis Eltern in Hamfelde hatten aufstellen lassen. Steffi setzte sich neben Kata auf die Holzbank, Julia und ich nahmen die gegenüber. Dann blieben wir lange sitzen, rauchten, redeten und sahen uns an. Und standen nur auf, um aufs Klo zu gehen oder neues Bier zu holen.

Seit diesem Abend waren wir zu viert unterwegs, so häufig es ging. Eigentlich nur, weil wir zur selben Zeit zum Rauchen auf die Veranda gegangen waren. Wir hatten alle noch ein halbes Jahr bis zum Abitur, das wollten wir durchhalten und dann endlich von Zuhause ausziehen.

Am Wochenende fuhr ich meist von Hamburg raus aufs Dorf und schlief bei Steffi in Hamfelde oder bei Julia in Kuddewörde. Wir zogen über die Dorf-Partys, weil sich die DJs dort sagen ließen, was sie auflegen sollten, und weil das Bier viel billiger war als auf dem Kiez. Wir tanzten zu „Didinana – Saturday night“ auf Feuerwehrfesten und in Mehrzweckhallen. „Willst du einen Kurzen?“, fragten mich die Dörfler. Oder: „Hast Du was dabei?“ Vielleicht sah ich für sie danach aus, weil ich mir die Haare grün färbte und sechs Ohrringe trug.

Wenn bei den Dorfjungs das Niveau auf Steinzeit sank und die Stimmung aggressiver wurde, fuhren wir meist noch mit Katas Kadett aufs Feld raus. Dort drehte sie das Autoradio voll auf, legte ihr Lieblingstape ein und tanzte zum „König der Löwen“-Soundtrack im Scheinwerferlicht. Julia, Steffi und ich standen lieber oben auf der Holzbrücke. Rauchten, tranken Karlsquell-Bier und sahen ihr dabei zu. Ich hatte das Gefühl, dass Kata es besonders mochte, wenn ich ihr dabei zusah.

Ich kann mich seltsamer Weise nicht erinnern, ob unter der Holzbrücke tatsächlich Wasser floss, obwohl wir häufig dort oben standen, weil die Stimmung dort so melancholisch war wie wir selbst. Die Brücke bog sich auf dem platten Land mitten übers freie Feld und meist stand um sie herum ein diesiger Dunst.

Oft blickten wir von der Brücke in den Dunst, bis uns zu kalt wurde, es war ja mitten im Winter. Dann fuhren wir nach Möhnsen zu Kata und machten uns Sauerkraut aus der Dose warm und aßen Bifi dazu. Die leer getrunkenen Bierdosen bauten wir im Wohnzimmer zu einer Pyramide auf.

Manchmal fuhr mich Kata mit ihrem Kadett den weiten Weg vom Dorf zurück nach Hamburg, ließ vor der Haustür kurz den Motor aufknattern, grinste, und düste dann durch die Nacht wieder nach Möhnsen. Sie bot mir das an, weil wir gerne im Auto schnackten und sie, glaube ich, auch mal mit mir allein sein wollte. Aber an einem Abend war sie viel zu betrunken. Also gingen wir von der Turnhallenparty zu Fuß zu Kata und ich übernachtete bei ihr, weil es bei Julia und Steffi diesmal nicht ging. Mir war nicht wohl dabei. Ich fand das Haus, in dem sie mit ihrer Mutter wohnte, bedrückend. Alles darin war dunkelgrün und braun, schwere Gardinen und dicke Teppiche verschluckten jeden Klang. In der Küche wölbten sich mir die Türen der alten Einbauküche entgegen und das Katzenklo verbreitete einen süßlichen Geruch, der mir noch mehr Übelkeit machte als das Billigbier, das wir tranken.

Kata klappte ihr Bettsofa aus und gab mir eines ihrer T-Shirts für die Nacht. Ich wartete mit dem Umziehen, bis sie aufs Klo ging und schlüpfte dann schnell unter die Decke. Kaum lag ich, rollte sich eine von Katas Katzen zu meinen Füßen ein. Ne, nä? Die will hier jetzt nicht liegen bleiben, oder?

Als Kata zurückkam, trug auch sie nur ein T-Shirt, das über ihren Brüsten spannte und darunter weit abstand. Dann blieb sie abrupt stehen: „Hat sich Charly einfach so bei dir hingelegt?“

„Ja, klar“, sagte ich.

„Echt? Das macht er sonst nie. Er ist immer total scheu. Auch bei Leuten, die er lange kennt. Aber bei dir fühlt er sich eben gleich wohl“, sagte Kata und sah mich bedeutungsschwanger an.

Dann setzte sie sich umständlich neben mich aufs Bett und löste mit einem Griff ihren Pferdeschwanz. Ihr dichtes Haar fiel auf ihre Schultern. Ihre Finger strichen langsam über den grünen Sofastoff, der neben meiner Hand eine Falte schlug. Das Sauerkraut in meinem Magen explodierte. Ich sprang auf und rannte zum Klo.

Als ich zurückkam, lag Kata mit geschlossenen Augen auf dem Sofa. Aber ich war mir sicher, dass sie nicht schlief. Ich legte mich leise neben sie und wagte nicht, die Augen zu schließen oder ihr den Rücken zuzudrehen. Ich lag da und wartete, bis ihr Atem endlich ruhiger wurde.

Ich war froh, dass mich am nächsten Morgen die Klingel weckte. Steffi und Julia kamen zum Frühstück vorbei – sie hatten Brötchen und Bifi dabei. Danach musste Kata gleich nach Trittau zum Croque-Laden, dort jobbte sie samstags. Ich brachte es nicht über mich, sie wie sonst beim Abschied zu umarmen.

Ein paar Tage später bekam ich einen Brief von Kata. „Nur du kannst mich retten“, stand im P.S. Ich antwortete ihr nie darauf.

Wir gingen trotzdem weiter feiern, aber Kata fuhr mich nicht mehr nach Hause. Dafür tanzte sie umso dramatischer im Scheinwerferlicht.

Irgendwann nach den Abiturprüfungen verschwand Kata aus meinem Leben. Wir hörten auf, zu viert Party zu machen. Es war nicht mehr wie früher, das spürten auch Julia und Steffi. Und irgendwie waren wir auch zu sehr mit dem „Danach“ beschäftigt. Mit dem, was nach der Schule kommen sollte.

Ich traf Kata Jahre später wieder, zufällig in einer Videothek. Sie trug kurze, wasserstoffblonde Haare und tuschelte mit ihrer Begleiterin. Leider erkannte sie mich sofort. Ihr Grinsen stellte sich mir breitbeinig in den Weg und ich sah Kata an. Ihr T-Shirt spannte nun nicht mehr über ihren Brüsten. Da war was verschwunden.

„Tach, Alte!“, frotzelte Kata.

„Moin, Möhnsen!“, frotzelte ich zurück. Wie wir es damals häufig getan hatten, aus Freundschaft.

„Nicht, dass du auf dumme Ideen kommst ... Die Erotikabteilung ist nichts für kleine Mädchen!“, sagte sie und schwang ihren Zeigefinger durch die Luft.

„Echt? Das wusste ich gar nicht! Ups, jetzt hab ich aber schon alle Pornos durch“, konterte ich.

Kata lachte laut und ging dabei in die Knie, als hätte sie zu viele Kurze getrunken.

Ich schaute weg und dann auf Katas Begleiterin, die ihre Lippen zusammenpresste und eine Videokassette festhielt.

Abgeschminkt? Ihr wollt echt Abgeschminkt gucken?“, entfuhr es mir.

„Ja, und? Den kann man ja nicht häufig genug gucken, wie Du weißt!“, zwitscherte Kata zurück.

Da hupte es draußen. Die Begleiterin schnappte sich Katas Hand und zog sie zur Tür.

„Tschüss, im Auto wartet noch eine Freundin auf uns“, rief Kata mir zu, wandte ihre Karpfenaugen ab und verschwand.

Und ich merkte, dass bei mir die Lust verschwunden war auf Sauerkraut und Karlsquell-Bier in der Nacht. Und darauf, mich gigantisch und total unverstanden zu fühlen.

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