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  • Anne Albers

Bei Ole ist immer Sauna

Aktualisiert: 2. Dez. 2020

Bei Ole ist immer Sauna. Er ist ein Kopfschwitzer. Unter seinem Haaransatz perlt der Schweiß wie der Morgentau, auch wenn der Morgen längst Mittag oder Abend geworden ist. Ole fühlt sich, solange er denken kann, nicht wohl in seiner Haut, weil er immer schwitzt.



Deshalb trägt er meist eine tiefsitzende Schirmmütze mit Schweißband im Innenrand, das er herausnehmen und waschen kann. Das ist eine Lösung, mit der er sich gesellschaftsfähig fühlt. Zumindest draußen. Drinnen taugt sie nichts, denn eine Mütze würde er in einer Wohnung oder gar am Esstisch in Gesellschaft nicht tragen. Er findet sich zu alt dafür. Wäre er ein paar Jahrzehnte später geboren, wäre er heute einer dieser vollbärtigen Cappydauerträger. Aber Ole ist 55, alleinstehend und Betreiber einer eigenen Sauna.

Die Sauna ist sein Element. Ein Ort, an dem er sich nicht tarnen muss, denn dort ist Schwitzen normal. Als er mit Anfang Dreißig zum ersten Mal in die Sauna ging – das war eine Offenbarung für ihn! Eine Nachbarin hatte ihn auf die Sauna gebracht: Greta. Damals hatte sie gerade die sommerdurstige Yucca-Palme in der Treppenhausnische gegossen und aufgeblickt, als Ole seine Einkaufstüten die schwarzweiß-millierten Stufen zu seiner Wohnung hinaufschleppte. Dabei liefen Schweißperlen, die sich zu Rinnsalen verbündet hatten, über seine Schläfen hinab. „Na, bei dir ist wohl immer Sauna“, hatte Greta gesagt, aber das nicht böse gemeint. Nicht, wie damals die Kinder an der St. Josef-Schule oder seine Ausbilder bei den „Automobilmachern“ oder all die anderen. Er hatte die Aldi-Tüten auf dem Treppenabsatz abgestellt, schnell mit dem Taschentuch aus seiner Hosentasche über sein Gesicht gewedelt, dann seinen scheuen Blick auf Greta gerichtet und gefragt:

„Sauna? Wie ist es eigentlich in der Sauna?“

„Sehr heiß. Alle sitzen da und schwitzen. Wie die Schweine, sag ich dir. Und danach springt man ins kalte Wasser. Herrlich ist das!“

„Alle schwitzen ... stark?“, hatte Ole sie erstaunt gefragt.

„Ja, besonders in der Finnischen Sauna... Ich kenne eine gute, draußen in Heidemüde. Da bin ich häufiger. Soll ich dich nächstes Mal mitnehmen?“

„Ja, gerne“, hatte er geantwortet und nicht weiter darüber nachgedacht.

Am Samstag darauf fuhren Greta und Ole hin. Sie gingen barfuß von der Umkleide den Holzplankenweg unter hohen Eichen die Wiese hinab zum Saunahäuschen. Die Abendsonne wärmte noch, Greta hatte das weiße Handtuch nur über ihrer straffen Hüfte zusammengeknotet. Ole sah dem Knoten hinterher. Die Holztür knarrte, er folgte Greta in den warmen Nebel und einen schmalen Gang entlang auf nachgebenden Dielen, vorbei an Holztüren mit gravierten Schildern, die er im Halbdunkel nicht lesen konnte. Greta öffnete eine Tür. „Achtung, jetzt wird es heiß!“, sagte sie und winkte Ole hinter sich her. Durch den heißen Dunst sah er zwei Männer auf der Holzbank sitzen. Einer mit schwerem Körper, breitbeinig und schweißnass. Daneben ein sehniger Typ, wie glasiert, die Beine zum Yoga verschränkt. Zwischen ihren Beinen, schlaffe, zufrieden aussehende Glieder. Können Glieder schwitzen?, dachte Ole.

Er setzte sich neben Greta auf die obere Bank. Er machte das Handtuch über seinem Bauch auf, das am Rand schon durchgeschwitzt war, denn bei ihm waren die Schleusen offen. Dieses Gefühl kannte er ja. Aber, und das erstaunte ihn, er genoss es jetzt. Hier sah ihm keiner mit unverhohlenem oder getarntem Ekel beim Schwitzen zu. Er schaute sich selbst zum ersten Mal dabei an ohne Scham.

Da hörte er Greta neben sich ausatmen. Er drehte sich zu ihr. Greta saß aufrecht mit geschlossenen Augen da, ihr zarter Hals leicht nach rechts geneigt, ihr Gesicht versunken, verträumt. Sie war ja nackt. Natürlich. Na, klar. Aber so nackt! Ihr Körper sprang ihn plötzlich an. Er konnte nicht weggucken, sich auch nicht rühren. Und dann rührte sich was. Er wehrte sich nicht dagegen, es fühlte sich gut an.

Ole stellt sich noch heute vor, Greta und er hätten es gleich dort getan, unter der hohen Eiche auf dem Hügel in Heidemüde. Aber in Wirklichkeit wartete er damals in der Sauna ab, bis sein Glied wieder schlaff und unzufrieden wurde.

Ein paar Tage später schliefen sie tatsächlich miteinander. In ihrem Naturholzbett. Der Himmel darüber war mit einem roten Seidentuch abgehängt, eine Lichterkette schwang sich von einem Bettpfosten zum anderen. Die Lämpchen flackerten Ole bedrohlich warm entgegen als Greta sich auf ihm bewegte. Er hatte Angst noch mehr zu schwitzen und sie damit anzuekeln.

Nach ihrem dritten Sex wollte Ole nicht mehr. Warum, wusste er selbst nicht. Er wusste auch nicht, wie er es Greta erklären sollte. Aber er dachte, sie wird es schon richtig verstehen. Er kaufte eine rote Gießkanne und klingelte an ihrer Tür. Als sie öffnete, blieb er vor ihrer Schwelle stehen.

„Naaa?“, sagte sie, sah ihn stirnrunzelnd an und zeigte auf die Kanne, die er in seinem Arm hielt wie ein schlafendes Baby. „Was hast du denn mit der Gießkanne vor?“

„Die ist für dich. Damit du deine Yucca-Palme einfacher gießen kannst. Diese Kanne ist größer als deine alte und schwappt nicht so leicht über. Und außerdem … magst du Rot.“

„Ja, stimmt. Danke“, sagte sie und lächelte. Aber ihre Stimme klang dünn. „Was hast du vor, Ole?“, fragte sie und tippte ihm mit dem Zeigefinger auf seinen Handrücken. Er stellte die Gießkanne neben ihre Fußmatte, ihm war jetzt saunaheiß. Er zwang sich, ihr in die Augen zu sehen. Er wollte ja kein Verpisser sein. „Greta, ich ziehe bald weg. Ich habe einen alten, einen wirklich schönen Hof gefunden, am Stadtrand. Den will ich ausbauen und dort eine eigene Sauna eröffnen.“

Greta sah ihn an, ohne Regung. Dann plötzlich lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter. „Das wird schön für dich, Ole. Das weiß ich“, sagte sie und atmete in die Kuhle an seinem Hals hinein. Ole stand einfach da. Er wusste nicht recht. Er spürte seinen Nacken, der sich verspannte, und ihren Atem, der in seinem Bauch Wellengang machte. Er kannte sich mit so was nicht aus. Nicht mit den Gefühlen anderer und nicht mit seinen eigenen. Greta hob den Kopf und sah ihn steil von unten an. „Es ist schon gut, Ole. Du kannst jetzt gehen.“

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