Für den Autor und Musiker Jens Böttcher ist Weiß keine Farbe. Aber Schwarz. In das Schwarz kann er sich einhüllen wie in seine Gedanken und in seine Melancholie, die ihm Schleppe und Schwung ist. Wie sein schwarzer Mantel seinen Gang durch Hamburgs Straßen umflattert, so weht die Sehnsucht durch seine Lieder.
Jens Böttcher glüht. Er hat sich eine Marlboro angezündet. Die Zigarette sitzt gut in seinem markanten Gesicht, das schön ist, gelebt und vernarbt. Der Rauch steigt auf zu seiner Stirn, die sich meist in Falten zieht bis unter die Hutkrempe. Seine Augen blicken über ihren schwarzen Kajalrand als wäre es Abend. Dabei ist es erst 9.30 Uhr am Morgen, als wir uns treffen. Jens Böttcher arbeitet gerade viel, denn bald erscheint sein neues Album und zeitgleich sein zweiter Roman.
Ein Tausendsassa
Jens Böttcher ist das, was man einen Tausendsassa nennt: Er ist Musiker, Sänger, Songschreiber und Schriftsteller. Dazu noch Autor und Sprecher für Fernsehen und Radio. Und er ist sein eigener Produzent. Aber vor allem macht er sich Gedanken, die er niederschreibt und sanft bis rotzig singt in deutschen Folkpopsongs für die Sensiblen, die Nachdenklichen und die Sehnsüchtigen. „Zu denen ich mich auch zähle“, sagt er mit seiner warmen Raucherstimme.
In seiner Stimme ist er nah und auch in seiner Neugier auf Gedanken. Der 49-Jährige liebt es mit seinem Gegenüber zu denken und sich Fragen zu stellen. Am liebsten die großen wie „Was soll das hier eigentlich alles?“. Fragen haben den gebürtigen Hamburger angetrieben als er kurz vor dem Abitur die Schule abbrach und hauptberuflich Punk und Künstler wurde. Als er in ruppigen Rockbands spielte und auch als er in der Werbefilmszene arbeitete.
Als seine Fragen immer drängender wurden, saß er sonntags mit seiner damaligen Freundin vor dem Fernseher und blieb ausgerechnet bei einem amerikanischen Fernsehprediger hängen. „Ich wollte nicht, dass mich das anspricht, aber ich fand es gut.“ Und bei einer weiteren von vielen Bayless Conley-Predigten hatte er das Gefühl, „diese Jesus-Geschichte erzählt er für mich. Und ich wusste, dass dieser Fernsehprediger mich taufen wird.“ Da das Abwegige bei Jens gerne das Naheliegende ist, kam es so. Bei einem Hamburgbesuch taufte ihn Bayless Conley in einer Hotel-Badewanne.
Alle Sinne auf Empfang
Das war 2001. Seitdem ist Jens ein anderer. Aber trotzdem noch immer anders als die anderen, was er gerne ist. Oder zumindest nicht typisch, wie man sich eben einen Christen vorstellt. Äußerlich hat er sich den Punk bewahrt. Ansonsten hat er seine Sinne neu auf Empfang gestellt: „Ich suche nach Nachrichten, die in Gottes Sprache verfasst sind.“ Gottes Sprache, damit meint Jens Gottes Liebe. Von dieser Liebe spricht und schwärmt er, wie es anderen nur am Valentinstag über die Lippen kommt. Diese Liebe ist, umfasst und bewältigt für ihn alles. Naiv kann sich das für skeptische Ohren anhören. Denn da muss es doch ein Aber geben. „Das ist das Problem am allgegenwärtigen Aber“, sagt Jens. „Dass es für viele heute nichts gibt ohne Wenn und Aber. Auch nicht das Gute. Auch nicht die Liebe“.
Jens versucht sein Leben ohne Aber zu leben. Er schafft Kontraste wie er auch mit seiner Erscheinung ein Kontrast ist. Trotzdem denkt er nicht in schwarz-weiß. Er kennt die Graustufe im Leben und für viele ist er selbst eine, da er rebellisch bleibt und sich auch mit vielem in der christlichen Szene nicht gleich macht. Deshalb hat er schon selbst erlebt, wie es ist, „wenn plötzlich alle mit dem Finger auf einen zeigen. Wenn andere einen richten. Dabei geht es im Christsein nicht um Moral, sondern um Freiheit. Und um Liebe.“
Sein neuer Roman
Die Liebe seines Lebens muss Jens Böttcher allerdings missen. Genauso geht es der Hauptfigur aus seinem neuen Roman Herr Sturm und die Farbe des Windes. Das lästige Leben von Herrn Sturm ändert sich geheimnisvoll als er Herrn Bischoff trifft und von ihm diesen gut bezahlten Auftrag erhält: „Es sind insgesamt zwölf. Ich möchte Sie bitten, diese Menschen in meinem Auftrag aufzusuchen. (...) Ich möchte, dass Sie aufschreiben, was Sie in den Gesprächen erfahren. (...) Schreiben Sie, was Sie sehen, schreiben Sie, was Sie wollen. Es gibt nur eine Einschränkung: schreiben Sie über das, was diese Menschen glauben. Darum geht es mir. Ich möchte erfahren, was ihnen Antrieb gibt, ob und auf welche Weise sie religiös sind, was sie ersehnen und wünschen und hoffen. Schreiben Sie über den Glauben der Welt, die Ansichten und Sehnsüchte der Menschen. (...) Und dann schreiben Sie darüber, was Ihnen selbst durch den Kopf geht. Schreiben Sie in und zwischen den Zeilen, ich weiß ja bereits, dass sie diese Kunst beherrschen.“
Das hört sich nach einem Plot alla Böttcher an: Ein Suchender, der das Leben beinahe satt hat, lotet den Glauben der Menschen aus – so wie er sich tatsächlich bei ihnen zeigt und nicht wie manche den Glauben gerne hätten. Das verspricht kontrovers zu werden. „Einige eingemachte Diskussionen hat mir das Buch bereits vor seiner Veröffentlichung eingebracht“, erzählt Jens. Vielleicht wird dieser Roman auch seine baldigen Leser aufwühlen. Jedenfalls wünscht sich Jens, dass andere in den Zeilen seines Romans und in dem Sound seiner Lieder die Stimme der Liebe vernehmen, auf die er meist in der Stille einer kleinen Kirche in Vahrendorf wartet. Wir werden davon lesen und hören. Erschienen in: LebensLauf Magazin, https://www.lebenslauf-magazin.net/
Was für ein schönes und interessantes Gespräch zwischen Ihnen und Jens Böttcher! Sehr schön geschrieben 🙂.