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  • Anne Albers

Achtäugige Gier

Die Spinne ins Jochens Vorzimmer:

Xenia zieht die Haustür hinter sich zu und geht durch die Diele. Sie lauscht. Jochen ist schon bei der Arbeit und die Kinder hat sie gerade zur Schule gebracht. Ihr Haus klingt jetzt größer und sie hört das Echo ihrer Schritte auf dem Parkett. Ich wohne in einem Palast, denkt sie. Sie legt den Haustürschlüssel rasselnd in die Schale auf der Jugendstilkonsole, friemelt ihren Mantel an den Garderobenhaken und fühlt sich unbeholfen dabei.


Wenn Jochen und die Kinder zuhause sind, mag sie, was sie tut. Sie steht morgens meist gut gelaunt auf, geht mit nackten Füßen den Flur entlang, dann über die flauschigen Teppiche zu den Kinderbetten und streicht über ihre Stirnen bis ein leichtes Kräuseln antwortet. „Aufstehen, Schule, meine Süßen“, sagt sie, hört die druselnden Antworten der Kinder, während sie weiter zur Küche geht, um Brote zu schmieren. So läuft das, meistens gut.


Aber wenn sie allein ist mit sich und dem Echohaus, beobachtet sie sich selbst. Dann plötzlich, in den letzten Tagen noch häufiger, drängt sich ihr der absurde Gedanke auf: Was ist, wenn Jochen einen Fehler macht? Aber der Gedanke ängstigt sie nicht, er gibt ihr Erwartung.


Xenia geht durch das Wohnzimmer zur Terrassentür und schaut in ihren hanseatischen Garten, drückt ihre rechte Hand durch und sieht auf ihren Ringfinger, bei dem die Nagelhaut schneller zu wachsen scheint als bei den anderen Fingern. Sie schiebt sie mit dem Daumennagel zurück.


Xenia, bist du eigentlich glücklich?, hört sie Jochen fragen. Das ist so ein Ritual zwischen ihnen. Ja, antwortet sie dann und atmet ganz ruhig. Beim Lügen wird sie immer kurzatmig. Deshalb weiß sie, dass sie wirklich glücklich ist. Aber sie fühlt auch, dass dieses komfortable Leben ihr genauso schnell abhandenkommen könnte, wie es zu ihr gekommen ist. Als würde es nicht ihr gehören. Dabei ist alles darin so folgerichtig. Wie ein Mandala, das sie mit ihren Tagen, Tag für Tag, feiner ausmalt.


Was ist, wenn Jochen einen Fehler macht? Mit dieser Sybille aus seinem Büro, die langbeinig ihre Fäden um ihn herumspinnt. Klebrig seinen Kalender überwacht und ihm mit achtäugiger Gier nachsieht, wenn Xenia ihn manchmal zum Mittagessen beim Italiener abholt. Sybille würde Jochen einspinnen und langsam aussaugen, wenn sie ihn erstmal zwischen ihren Beinen hätte.


Und was würde sie selbst dann machen? Sich ein neues Mandala suchen und klare Farben zum Ausmalen. Xenia schaut an sich runter und zieht ihre rosa Bluse über dem Gürtel glatt. Keine Pastelltöne, leuchtende Farben müssten es sein!


Xenia grinst die Spinne an, die draußen an der Terrassentür mit den Vorderbeinen unentschlossen in ihrem Netz herumtänzelt. Wenn Frühling ist, werde ich die Spinne vorne in den Rhododendron umsiedeln. Ist sicher für etwas nütze, dieses Biest.


Bildnachweis: Tinvo / photocase.de


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